Statement des Regisseurs Hans Andreas Guttner
Aufgewachsen in einem kleinem Bergbauerndorf in Kärnten, Feld am See, einem Dorf ohne Bahnanschluss, besuchte ich zweimal jährlich meine Großmutter, die im 8. Bezirk in Wien wohnte. Da sie sehr kulturell interessiert war, landeten wir jeden Tag im Café Eiles und jeden zweiten Tag im Burgtheater oder in der Josephstadt. Als Student hatte ich natürlich meinen Stehplatz, so dass mir „die Burg“ ein vertrauter Ort wurde. Als ich später im Ausland wohnte, verfolgte ich interessiert die Nachrichten über das Burgtheater. Schon immer hat mich der „unsichtbare“ Betrieb des Burgtheaters neugierig gemacht, doch erst als Dokumentarfilmer sah ich eine Möglichkeit, diese Neugier zu stillen. Hinzukam, dass ich der Filme überdrüssig war, die die Realität ausschließlich über narrative Konfliktkonstruktionen abhandelten. Großes Vorbild ist für mich in dieser Hinsicht Frederic Wiseman, der bevorzugt Institutionen in ihren inneren Abläufen schildert und damit ein viel komplexeres und tiefgründigeres Bild der gefilmten Realität schafft. Dafür ist diese Art von Dokumentarfilm das richtige Genre. Filme wie DIE BURG nähern sich ihrem Thema distanziert, sie machen das Gewohnte fremd, um einen neuen genauen Blick freizugeben.
Der Dokumentarfilm ist offen für das Zufällige, das Banale, das Unvorhergesehene, er kann sich Zeit lassen, er muss nicht plakative Fünfsekundenbilder aneinanderreihen und sie mit Kommentaren zukleistern. Er gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, mit eigenen Projektionen und Gedanken in die Bilder einzutauchen und, was er sieht, mit seinem bisherigen Wissen oder Leben zu vergleichen.
Was mich bei den Dreharbeiten im Burgtheater überraschte, war der minutiös durchorganisierte reibungslose Betrieb, der keine Disziplinlosigkeit oder Verschiebungen zulässt, und wie sehr die einzelnen Abteilungen aufeinander eingestimmt sind.
Am interessantesten und spannendsten war der Probenbeginn für das Stück GEÄCHTET. Das Flirren der Gedanken, der Austausch von Humor, die verschiedenen Sprechweisen. Wie die Schauspieler und die Regisseurin den Text auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, ihn auf die eigene Wirklichkeit beziehen und sich Situation für Situation mühsam erarbeiten, dafür bräuchte es eine kontinuierliche Wiedergabe eines fünfstündigen Probenprozesses, was ich vielleicht noch mit einer DVD-Edition machen werde. Der Film DIE BURG zeigt verdichtend szenische Momente dieses Vorgangs.
Das Theater allgemein hat seinen festen Ort, weil es, seinem Wesen nach flüchtig, immer neu bespielt werden darf. Der Film hat seit der Digitalisierung das Kino als einzigen Abspielort verlassen und ist inzwischen allgegenwärtig, zwischen Großleinwänden und kleinsten Smartphone-Displays. Da die Filme überall funktionieren sollen, wirkt sich das auch auf die Ästhetik aus. Hier hat die Unmittelbarkeit des Theaters nach wie vor einen großen, nicht austauschbaren Vorteil.
Director’s Note
I am not very interested in films with a simple black-and-white conflict structure where only known positions and opinions are reproduced and no further discoveries can be made. I am interested
in the unforeseen and the unforeseeable. In this respect, Frederic Wiseman is my inspiring example. This kind of documentaries create a complexer and profounder image of the filmed
realities. My intention in making documentary films is to be as close as possible and as exact as possible in referring to reality to achieve authentic subjectivity.
For a long time, I have been curious about the “invisible” activities of the Burgtheater. Now, I was lucky to have the opportunity to make this film the way I intended to.